12 Viertausender in 14 Tagen

Klaus Adler

Eigentlich war der Hochtouren-Urlaub etwas anders geplant, wir wollten gar nicht so viele Gipfel sammeln. Begonnen hatte es wie geplant. In der langfristigen Wetterprognose war für die ganze Woche war stabiles Hochdruckwetter ohne Niederschläge angekündigt. Als wir in Zermatt ankamen, stand das Matterhorn unter einem wolkenlosen Himmel. Im Bergführerbüro erfuhren wir, dass noch nicht alle Hütten geöffnet haben (es war der 2.Juli) und dass auf den von uns geplanten Gipfelzielen heuer noch niemand oben gewesen ist, außerdem sollen die Schneeverhältnisse auf den Gletschern ziemlich schlecht sein. Doch wir hielten an unseren Plänen fest – irgendwer muss ja jedes Jahr der Erste auf einem Gipfel sein.
Beim Zustieg zur Schönbielhütte war es ziemlich heiß und ich bekam gleich einen ordentlichen Sonnenbrand. Die Hüttenwirtin erzählte uns, dass sie vor einer Woche am Zinalrothorn war und dass es fast eine Winterbegehung war.

Für den zweiten Tag war die kurze Etappe über die Wandfluelücke zur Dent Blanche Hütte geplant. Das sollte laut Führer nur 4 Stunden dauern. Die Sonne strahlte wieder von einem tief blauen Himmel. Nach der Überquerung des Schönbielgletschers mühten wir uns im unteren Wandteil sehr brüchiges und schottriges Gelände hinauf, nach dem Quergang auf dem großen Band gab es dann schöne Kletterei in festem Fels. Der abschließende Schneehang zur Wandfluelücke bot einen Vorgeschmack auf die Gletscherverhältnisse: 2 Schritte oben auf einem Harschdeckel, 2 Schritte einbrechen bis zum Oberschenkel… fürchterlich mühsam. Nach 6 Stunden stehen wir endlich oben – wieder einmal sind wir in eines dieser ominösen Zeitlöcher gefallen.

Aufstieg zur Wellkuppe
Unter dem Gipfel der Wellkuppe

Vor der Dent Blanche Hütte empfängt uns dann der nepalesische Hüttenwirt. Ob wir Halbpension wünschen? Und wir hatten einen Kocher und Essen herauf getragen! Es stellte sich heraus, dass nur wegen des kaputten Telefons niemand auf der Hütte erreichbar war. Am Abend saßen wir dann auf der Hüttenterrasse und kochten unsere Nudeln. Im Hüttenbuch konnten wir lesen, dass in den letzten Wochen schon mehrere Seilschaften am Dent Blanche waren – im Bergführerbüro wissen sie auch nicht alles. Am nächsten Tag klettern auch wir am Südgrat. Anfangs geht es auf einem leichten Blockgrat dahin, dazwischen einmal ein längeres Firngratstück. Vor dem Großen Gendarm wir es anspruchsvoll. Die Plattenquerung hat von einem nächtlichen Gewitter eine dünne Schneeauflage, im Coloir ist der steile Firn hart gefroren, oben ist es dann steile kombinierte Kletterei. Wieder am Grat angekommen, mussten wir an mehreren Stellen länger nach der richtigen Route suchen. Die Führerbeschreibung dazu war – wie so oft in den Westalpen – wenig hilfreich. Kurz vor den Schlüsselseillängen kamen uns die beiden Bergführer mit ihren Kunden schon wieder vom Gipfel zurück entgegen. Warum sind die nur so schnell? Man klettert hier in wunderschön festem Fels, der allerdings stellenweise auch vereist war, oft auf dem schmalen, ausgesetzten Grat, an den Standplätzen gibt es sogar Bohrhaken. Fast schon Genusskletterei im 3.Schwierigkeitsgrad. Irgendwann gelangen auch wir endlich auf den schmalen Firngrat oberhalb des letzten Felsaufschwunges und stapfen weiter aufwärts. Genau zu Mittag stehen wir auf der Dent Blanche beim Gipfelkreuz in 4357m Höhe. Einer der großen, anspruchsvollen Berge der Walliser Alpen ist uns gelungen.

Leider sollte es der einzige von den ursprünglich geplanten Gipfeln bleiben. Einige Tage später blieben wir am Firngrat zwischen der Wellenkuppe und dem Obergabelhorn buchstäblich im Schnee stecken. Bei jedem Schritt brachen wir durch den Harschdeckel bis zum Oberschenkel tief ein. Wir gaben den Besteigungsversuch bald wieder auf und begnügten uns mit dem Gipfel der Wellenkuppe.

Firngrat am Zustieg-Zinalrothorn
Zinalrothorn

Beim Versuch am Zinalrothorn geht es uns nicht besser. Ein intensiver Regenguss in der Nacht hat die Felsen mit einer zentimeterdicken Eisglasur überzogen, auf den Bändern und in den Coloirs der Südflanke liegen große Schneemassen. Wir beobachteten zwei Schotten, die zuhause viel Eisklettern gehen, wie sie extrem langsam in der Flanke höher kommen. Laut Führer sollte man für die Flanke nur 30 – 40 Minuten brauchen. Also drehen wir auch hier um, und verlassen auch die sehr gastliche Rothornhütte, deren einziger Minuspunkt das Fehlen eines Ofens im Gastraum ist, in Richtung Zermatt, weil an den schwierigeren Bergen offensichtlich nichts zu machen war.

Die fehlende Beheizung in der Rothornhütte, die immerhin auf 3200m Höhe liegt, machte sich vor allem bei unserer Ankunft sehr unangenehm bemerkbar. Wir kamen bei strömendem Regen über den langen, steilen Moränenweg herauf und mussten dann mit Fleecejacke, Mütze und Handschuhen in der Gaststube sitzen. Drinnen hatte es dieselbe Temperatur wie draußen, so ca. 12° (immerhin plus). Dafür hätte das Abendmenü problemlos auch in jedem Gourmet-Restaurant serviert werden können.

Zinalrothornhütte-unbeheizt
am Breithorn

Nach längeren Überlegungen am Campingplatz in Zermatt entschlossen wir uns, die technisch einfacheren Gletscherberge der Monte Rosa Gruppe zu versuchen. Ein zusätzlicher Vorteil war der hohe Ausgangspunkt. Nach einer Seilbahnauffahrt starteten wir in 3820m Höhe knapp unter dem Gipfel des Kleinen Matterhornes. Am Normalweg aufs Breithorn war der Firn noch gut durchgefroren und wir erreichten schnell den leichtesten Alpen-Viertausender.

am Breithorn
Gipfelgrat des Castor

Die Idee war jetzt eigentlich, alle 5 Breithorngipfel von West nach Ost zu überschreiten. Beim ersten steilen Felsabbruch nach dem Zentralgipfel war es damit aber schon wieder zu Ende. Ich probierte an mehreren Stellen, aber mit Steigeisen einen westalpinen Vierer abklettern ist doch viel schwerer als wir dachten. Dann kamen schon die ersten Bergführerpartien in der Gegenrichtung (so wie diese Tour normalerweise gemacht wird). Ein Ausweichen auf dem ausgesetzten Grat ist auch nicht so leicht und als uns einer der Bergführer sagte, dass man keine der schweren Stellen abseilen kann, stiegen wir über den Gletscherhang wieder ab und querten unter den Felsgipfeln in Richtung Osten.
Dafür kletterten wir noch auf den Nachbargipfel, den Pollux. Nach einer steilen Firnrinne und einem Blockgrat geht es im 3. Schwierigkeitsgrad über herrlich festen Fels, gesichert durch eine durchgehende, an Bohrhaken fixierten Kette. Zum Gipfel folgt dann noch ein schmaler Firngrat. Unser erstes Nachtquartier auf dieser Tour war das Rifugio Guide della Val d’Ayas, nach der super geführten Rothornhütte ein ziemlicher Tiefschlag. Obwohl die Hütte 1989 neu gebaut wurde, ist der Gastraum zu klein, das Abendessen erfolgt in 2 Schichten – und alle die ohne Bergführer unterwegs sind, kommen garantiert erst zur 2.Schicht dran. Das Essen ist (wie auf italienischen Hütten offensichtlich üblich) eher als kleiner Imbiss zu betrachten, Nachschlag gibts natürlich keinen. Das Ganze wird auf Plastik-Wegwerftellern serviert und man bekommt Wegwerf-Plastikbesteck. Und schließlich sind die Lager zu kurz, direkt unter die Dachschräge gebaut.

Schwarzhorn-Gipfel
Signalkuppe- Cbana Margaritha

Am nächsten Tag ging es über den Castor, ein sehr schöner Gletscherberg oben mit kurzer Steilflanke und anschließend einem schmalen, sehr ausgesetztem Firngrat.

Beim Aufstieg überholten wir zahlreiche Seilschaften mit Bergführern. Nachdem der Schnee schon wieder sehr weich geworden war, ließen wir die anschließende Liskamm-Überschreitung aus, bei der man ein paar Kilometer auf ausgesetzten Wechtengraten gehen muss. Stattdessen mühten wir uns bei Sommerhitze im weichen Schnee über die weiten Gletscherkessel unter der Liskamm-Südflanke hinüber zur Gnifetti-Hütte. Diese riesige Hütte mit 280 Schlafplätzen war nicht viel besser als die Ayas-Hütte. Abendessen in Kleinportionen auf Wegwerfgeschirr gegen Essensbons und nur bei Vorauszahlung. Auf die Frage nach einem Wetterbericht präsentierte uns der Wirt stolz auf seinem Computer, dass es Temperatur-, Wind- und Niederschlagsdaten automatisch in allen möglichen Grafiken darstellen kann. Dass uns eine Prognose für den nächsten Tag mehr geholfen hätte, dürfte er hingegen nicht verstanden haben. Er sprach hauptsächlich italienisch, wir nicht…

In der Früh liegt dichter Nebel über den Gipfeln. Trotzdem brechen alle auf und stapfen den ersten Gletscherhang hinauf – Kolonnenverkehr. Wir scheren aber relativ bald aus der Kolonne aus und steigen über den Nordwesthang auf die Pyramide Vincent (4215m), gegenwärtig der einzige nebelfreie Gipfel. Kurz nach dem Ausscheren wäre ich am liebsten gleich wieder in den Trampelpfad zurückgekehrt. Der Harschdeckel brach ein und darunter nur Sumpfschnee. Und das schon um 7 Uhr früh! Zum Glück wurde es höher oben besser. Nicht nur der Schnee, auch das Wetter. Und so stiegen wir nacheinander dann auf das Balmenhorn, 4167m, (netter, kurzer Klettersteig zur riesigen Christus-Statue), den Corno Nero (4321m) mit kurzer steiler Eisflanke, die Ludwigshöhe (4341m), die Parrotspitze (4432m) über einen längeren schmalen Firngrat, die Zumsteinspitze (4563m) und zuletzt auf die Signalkuppe (4554m) mit der höchsten Hütte der Alpen, der Capanna Margherita.

Da es schon ziemlich hoch aufgetürmte Wolken gab, ließen wir den Plan, von der Zumsteinspitze den schwierigeren Felsgrat zur Dufourspitze zu klettern, wieder fallen. Das war auch gut so, denn als wir zurück am Colle Gnifetti waren, begann es bereits zu donnern. Immerhin hatten wir aber bis dahin schon 7 Viertausender-Gipfel an diesem Tag überschritten. Wir liefen bei stechend heißer Sonne schnell den obersten Grenzgletscher hinunter, wurden aber recht bald durch mühsamen Sumpfschnee stark eingebremst. Nach ein paar Hundert Höhenmetern begann es zu Graupeln und stark zu donnern. Der weitere Abstieg über den stark zerrissenen Gletscher dauerte noch ziemlich lange. Zum Glück gab es schon eine Spur, sonst wäre zusätzlich noch viel Zeit beim Suchen einer möglichen Route draufgegangen. Oft versanken wir im Sumpfschnee fast hüfttief und es war nie ganz sicher, ob nicht vielleicht doch eine Gletscherspalte drunter war. Unser Ziel war die Monte Rosa Hütte, die sehr tief unten liegt. Vom Gipfel der Signalkuppe sind es 1760 Höhenmeter Abstieg. Und einen Tag später tuckerten wir von Rotenboden mit einem Zug der Gornergratbahn, der größtenteils mit japanischen Touristen besetzt war wieder nach Zermatt hinunter, wo sich dann Massen von Japanern, alle mit Einheits-Sonnenhut und Kamera durch die Bahnhofstraße wälzten. Da war fast mehr Gedränge als auf der Kärntnerstraße an einem Weihnachts-Einkaufssamstag. Als Attraktion für die Touristen wird auch jeden Tag 2 Mal eine große Ziegenherde durch die Bahnhofstraße getrieben, die dann auch fleißig fotografiert wird. Und natürlich ist auf fast jedem Geschäft, in jeder Auslage und auch auf den vielen Elektromobilen (in Zermatt gibt es mit wenigen Ausnahmen keine Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren) das Matterhorn abgebildet. Die Ansichtskarten-Ständer sind fast ausschließlich mit Matterhornbildern gefüllt und viele haben in den Geschäfts- oder Lokal-Namen irgendwie „Matterhorn“ eingebaut. Damit man ja nicht vergisst, dass der berühmteste Berg der Welt gleich hier oberhalb vom Ort steht, auch wenn er gerade im Nebel steckt.

Den Abschluss des zweiwöchigen Urlaubs bildete die kurze Wanderung durch die eindrucksvolle untere Gornerschlucht. Es ist unglaublich, dass sich die Wassermassen, die von den riesigen Gletschern des gesamten Monte Rosa Massives abfließen, durch eine so enge, tiefe Felsschlucht durchzwängen.

Text: Klaus Adler 2006
Fotos: Philipp Graf, Klaus Adler
Update Layout: Ulli Fechter 2022
Link zur original Webseite