Ein besonderer Vortragsabend – Sepp Brunhuber 1904 bis 1988

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Am 16.10.2024 ist es auf wundersame Weise gelungen, eine Brücke von der Gegenwart zum Alpinismus in den 1930er Jahren zu bauen und gleichzeitig den Nachkommen eines Zeitzeugen online zu einem Vortrag zuzuschalten und dies noch dazu über einen Ozean hinweg. Doch alles der Reihe nach.

Wie ist es dazu gekommen?

Angefangen hatte es damit, dass eines Tages eine Dame beim Gebirgsverein anrief und fragte, ob der Verein Interesse am alpinistischen Nachlass ihres Vaters hätte. Dieser Vater sollte sich als kein geringerer als Sepp Brunhuber erweisen, einer der bekanntesten und fähigsten Kletterer der 1930 und 40er Jahre.

Die Anfrage wurde alsbald an die BG weitergeleitet, schließlich war Sepp Brunhuber ja BG-Mitglied, nach dem Krieg sogar ein paar Jahre lang Vorstand dieser Gruppe.

Thomas Jekel und Matthias Hutter nahmen Kontakt mit der Familie Brunhubers auf und konnten bei mehreren Treffen spannende und unvermutete Details aus dem abenteuerlichen Leben von Sepp Brunhuber erfahren. Wir bekamen Zugang zu Originaldias (6×6 Glasplatten) samt einem historischen Diaprojektor, zu Fotoalben, Tagebüchern und einer detaillierten Sammlung von Zeitungsartikeln.  Eine Auswahl von besonders interessanten Fotos ließen wir einscannen.

Ein Vortrag war alsbald vorbereitet und sollte im November 2023 gezeigt werden, musste dann aber aus organisatorischen Gründen auf Oktober 2024 verschoben werden, was sich als Vorteil erweisen sollte, konnten doch noch einige spannenden Aspekte ausfindig gemacht und in den Vortrag eingebaut werden.

Matthias und Thomas berichteten im randvoll gefüllten Vortragssaal in der Lerchenfelderstraße über die wichtigsten Bergtouren Brunhubers, die Enkelin Brunhubers las Auszüge aus den Originaltourenbüchern Sepps, die beiden Töchter (in den letzten Kriegsjahren bzw. kurz danach geboren) steuerten einige launige Anekdoten über ihren Vater bei.

Im Folgenden eine Kürzestfassung der bergsteigerischen Vita des im Jahr 1904 geborenen Sepp Brunhuber:

  • Beginn der alpinistischen Tätigkeit in den 1930 er Jahren als Mitglied der Alpinistengilde der Naturfreunde
  • Teilnahme an verschiedensten Sportwettkämpfen im Umfeld der Arbeitersportbewegung
  • 1933 bis 1934 Schidurchquerung der Alpen von Wien/Rodaun bis zum Mont Blanc gemeinsam mit seiner Bergpartnerin Julia Huber, Rückfahrt per Fahrrad von Courmayeur nach Wien in 6 (?) Fahrtagen
  • Unzählige, schwierigste Klettertouren in Österreich und in den Dolomiten, vielfach gemeinsam mit Fritz Kasparek
  • Zahlreiche extreme Winterbegehungen, u.a Große Zinne Nordwand, Comici im Februar 1938, Hochtor Nordwand/Pfannl-Maischberger-Route Februar 1941
  • Die Kriegsjahre verbrachte er großteils als Ausbildner in der Hochgebirgsschule in Fulpmes.

Berufliche Laufbahn:

Als gelernter Tapezierer war er – wie so viele andere Bergsteiger in dieser Zeit – häufig arbeitslos. Er verstand es aber, sein bergsteigerisches Können gewinnbringend einzusetzen, zB. als Schilehrer und Ausbildner, später als Reiseleiter. In gewissen Sinne war er auch ein Vorläufer des modernen Profi-Alpinismus: schon während und nach seiner Alpendurchquerung warb er in Zeitungen für die verwendete Ausrüstung (Schuhe, Stöcke, Schibindung etc.), bereits in der Vorkriegszeit unternahm er ausgiebige Vortragsreisen nach Deutschland.

Nach dem Krieg gab er (mittlerweile verheiratet und Vater zweier Töchter geworden) das extreme Bergsteigen nahezu gänzlich auf.

Er betrieb lange Jahre ein Sportgeschäft im 6. Bezirk und war noch als Schilehrer tätig.

Im hohen Alter fesselte ihn eine Diabeteskrankheit ans Bett. Das Interesse an seinen geliebten Bergen bewahrte er jedoch bis zuletzt. In seinen letzten Lebensjahren wurde er von einem ORF-Team ausführlich interviewt, den entsprechenden Beitrag konnten wir am Ende unseres Vortragabends zeigen.

Ein Jahrhundert-Zufall dank Internet

Ein paar Wochen vor dem Vortragstermin dann die große Überraschung:

Wir erhalten ein Email von einem Herrn Andrew Popper aus New York, er habe im Internet die Ankündigung zu unserer Veranstaltung entdeckt und würde gerne den Vortrag sehen, er sei aber in den USA, gäbe es eine Möglichkeit, online zuzusehen?

Wir nehmen natürlich direkt Kontakt mit Herrn Popper auf. Es stellt sich heraus, dass sein Vater und sein Onkel in den 30er Jahren an Kletter- und Schitourenkursen, die Sepp Brunhuber geleitet hat, teilgenommen haben. Dies ist durch historische Fotos auch gut dokumentiert. Nach dem Tod seines Vaters begann Andrew Popper nachzuforschen, wie sein Vater gelebt hatte und arbeitete sich durch Dokumente und Bilder des Familienarchivs. Auf der Suche nach Daten zu Sepp Brunhuber, dem Bergfreund seines Onkels und seines Vaters, stieß er im Internet auf unsere Vortragsankündigung.

Diese Tatsache ist als erstaunlicher Zufall einzustufen und schon für sich allein sensationell, weitere Informationen, die Herr Popper uns übermittelte,  sorgten aber für einen wahren Gänsehautmoment:

My father Georg Popper and his brother Rudolf, born in Vienna in 1913 and ’14. were among many friends and clients of Sepp Brunhuber who climbed and skied with him in the mid ‘30’s. Many, including my father and uncle, were Jewish by birth, so their lives changed sharply in 1938. Georg escaped, but Rudi was arrested and never released. Since my father died I’ve looked closely at family documents and photographs in search of how they had lived — and in both cases found surprising facts about their mountaineer friend.

Beim Vortrag am 16.10.2024   gelang es uns tatsächlich, dass Herr Popper via Zoom live aus New York zusehen konnte, nicht nur das, er trug auch mit einigen Bildern einen wesentlichen Teil zu diesem Abend bei. Er brachte Bilder, die seinen Onkel und Vater beim Bergsteigen in den Zillertaler Alpen zeigten, aber auch die Todesurkunde aus dem euphemistisch „Schutzhaftlager“ genannten KZ Buchenwald. Demnach starb der Onkel im April 1942 an einer Grippe….

 But Rudi’s luck ran out. He was caught associating with Communists at the University, was put on trial with the so-called „Red Students” group; acquitted in 1940, and  instantly shipped off anyway,  to concentration camps, considered a so-called  “politischer Jude.” He died in April of 1942.

Herr Popper berichtete, dass Sepp Brunhuber auf dem Wege seinen Reisebüros zahlreichen jüdischen Mitbürgern zur Flucht ins Ausland verholfen hatte. But Sepp helped many others by smuggling them across the mountain borders, sometimes in collaboration with Georg (Vater von Andrew)

Georg Popper verbrachte die ersten Kriegsjahre in Frankreich, nach dem er die Nachricht über den Tod seines Bruders Rudi erhalten hatte, verließ er Europa und lebte seitdem in den Vereinigten Staaten.

Zwischen dieser tragischen Geschichte und der alpinen Karriere Brunhubers gibt es einen erstaunlichen Zusammenhang. In den 30 er Jahren war die Erstbegehung der Eiger Nordwand im Berner Oberland das wohl begehrteste Ziel der damaligen alpinen Elite. Auch viele österreichische Kletterer, unter anderem Brunhuber und sein Kletterpartner Fritz Kasparek, hatten sich die Eiger Nordwand zum Ziel auserkoren. Als Brunhuber und Kasparek im Februar 1938 erstmals die Nordwand der Großen Zinne (Comici-Route) im Winter bezwingen konnten, sahen sie dies als Trainingsfahrt für einen Versuch an der Eiger Nordwand. Die beiden waren dann auch schon einmal am Wandfuß, mussten das Projekt aber wetterbedingt verschieben. Als dann die Verhältnisse passten, hatte zwar Kasparek Zeit, nicht aber sein kongenialer Partner Brunhuber. Brunhuber war in den entscheidenden Tagen beruflich verhindert, das heißt als Reiseleiter in Italien unterwegs. Wie wissen es nicht genau, es kann aber vermutet warden, dass Brunhuber dabei auch Juden zur Flucht verholfen hat. Der Rest ist Alpingeschichte. Kasparek fand Heinrich Harrer als (Ersatz)Partner. Von 21.7. bis 24.7.1938 gelang dann die auch international viel beachtete Erstbegehung der Eiger Nordwand. In der Wand kam es zum symbolträchtigen Zusammenschluss der österreichischen Seilschaft Kasparek/Harrer mit der deutschen Seilschaft Heckmair/Vörg, der dann auch vom Nazi-Regime propagandistisch ausgeschlachtet wurde.  

Mit einer Teilnahme an der erfolgreichen Eiger-Nordwand-Begehung wäre Brunhubers Name wahrscheinlich auch über den engeren Kreis an alpiner Geschichte interessierter Menschen bekannt geworden worden. Manche Insider sagen, mit Brunhuber als Partner wäre der Zusammenschluss mit den besser ausgerüsteten Deutschen gar nicht notwendig geworden und Kasparek/Brunhuber hätten sich als alleinige Erstbegeher feiern lassen können. Spekulationen darüber sind aber müßig, was ist letztlich eine Erstbegehung im Laufe des Weltgeschehens wert, noch dazu, wenn die Welt kurz vor der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte steht?

Mehr über Sepp Brunhuber und seine Kletterpartner wird es – in ein paar Jahren –  in der in Vorbereitung befindlichen Jubiläumsschrift anlässlich “100 Jahre BG 1927  bis 2027”  zu lesen geben.